Dr. Yves Zinngrebe

Die bisherigen IPBES Assessments bieten eine breite Wissensbasis, die den fortschreitenden Biodiversitätsverlust und die dafür verantwortlichen Treiber erklärt. Mit dem Transformative Change Assessment können wir uns nun vorrangig der Frage widmen, was wir über mögliche Lösungswege wissen.

Portraitfoto Tobias PlieningerFoto bereitgestellt von Yves Zinngrebe.

Angaben zur Person:

Yves M. Zinngrebe

Doktor der Agrarwissenschaften, MSc Environmental Policy and Regulation, Dipl. Ing Biotechnologie

Meine Forschungsexpertise liegt im Bereich der Politikintegration, Multi-level Governance, Planungsprozesse und Implementierung mit Fokus auf Biodiversität und nachhaltige Landnutzung.

Institutionelle Anbindung:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Department für Naturschutzforschung

Homepage
https://www.ufz.de/index.php?de=46844

Autor in welcher Expertengruppe / Task Force (vergangen und gegenwärtig); ggf. weitere Funktionen im IPBES-Prozess

  • Coordinating lead author (Kapitel 5) des Transformative Change Assessments
  • Contributing author des regionalen Assessments für Europa und Zentralasien
  • Contributing author des Values Assessments


Teilnahme in anderen IPBES-relevanten Aktivitäten

Fragen:

Was ist Ihre Motivation, sich aktiv am IPBES-Prozess zu beteiligen?
Biodiversität beschäftigt sich per Definition mit der hohen Komplexität ökologischer Systeme und ihrer Interaktionen. Die Art und Weise, wie Menschen die Boidiversität nutzen und dabei interagieren, erhöht diese Komplexität. Und wäre das nicht schon komplex und dadurch irgendwann auch kompliziert genug, so gibt es noch verschiedenste wissenschaftliche Perspektiven, diese Zusammenhänge zu ergründen. Und immer ist es als Wissenschaftler unsere Aufgabe, neues Wissen und auch neue wissenschaftliche Zugänge zu diesen Themen zu finden. Gleichzeitig muss ein Thema aber kommunizierbar und verständlich sein, um politisches Handeln zu informieren. Ich bin motiviert, mich in den IPBES-Prozess einzubringen, weil entgegen dieser generellen Tendenzen hier die verschiedenen Zugänge wieder zu einer Wissensbasis zusammenstellt, die unterschiedliche Konzepte in Verbindung setzt und den dazu bestehenden Wissensstand diskutiert. Wir sollen wissenschaftliche Debatten sichten und das Wissen zu zentralen gesellschaftlichen Fragen zusammenstellen: „Welche Ansatzpunkte gibt es, um die Treiber von Biodiversitätsverlust zu regulieren?“, „Was wissen wir über das transformative Potenzial von verschiedenen Politikansätzen oder -instrumenten?“, „Wie kann man partizipative Lernprozesse gestalten, um kontext-spezifische Lösungen zu erarbeiten?“ Ich freue mich darauf, solche Fragestellungen mit (kompetenten) Menschen aus aller Welt zu diskutieren und durch unsere Arbeit Wissen für politische Prozesse greifbarer zu machen!

Was ist für Sie das Besondere am Weltbiodiversitätsrat IPBES?
Das IPBES ist eine politisch legitimierte Plattform, durch die die internationale Gemeinschaft eine gemeinsame Wissensbasis anerkennt. IPBES vereint die Mehrheit aller Länder und hat gleichzeitig eine hohe Sensibilität bezüglich der diversen Wissens- und Wertesysteme, die die Interpretation der Biodiversitätsprobleme bedingen. Durch diesen Prozess kann die Transparenz zur Biodiversitätsproblematik erhöht und somit ein politischer Handlungsdruck aufgebaut werden.

Sie waren bereits länger an einem IPBES-Prozess beteiligt. Welche Erfahrungen haben Sie dort bisher machen können und was hat Sie besonders beeindruckt?
Mein Eindruck ist, dass IPBES ein generell sehr offener und auch lernfähiger Prozess ist. Allerdings ist er als politischer Prozess auch anfällig dafür, soziale Ungleichheiten und Machtgefälle zu spiegeln. Durch fehlende Finanzierung der wissenschaftlichen Beiträge fällt es immer Wissenschaftlern mit einer finanziellen Sicherheit leichter, dazu beizutragen. Es ist umgekehrt besonders für jüngere Wissenschaftler und Kollegen aus dem Globalen Süden oft schwieriger, das gleiche Engagement unentgeltlich aufzubringen.

Den Austausch unter den Kollegen habe ich bislang als sehr respektvoll und verständnisvoll erlebt.

Für welches Kapitel haben Sie sich zur Verfügung gestellt und was wäre ein wertvolles Resultat aus Ihrer Sicht?
Ich werde am Kapitel 5 (Realizing a sustainable world for nature and people: means for transformative strategies, actions and roles for all) des Transformative Change Assessments mitschreiben.
Es wäre ein wertvolles Resultat, politische Hebelpunkte und Instrumente zu benennen und zu bewerten, um so klare Ansatzpunkte für die Umsetzung der Biodiversitätsziele darzustellen und zu diskutieren. Es wäre zudem sehr hilfreich, wenn wir uns auf ein paar Rahmenkonzepte einigen, so dass transformativer Wandel auch in Zukunft besser zu bewerten und zu steuern ist.

Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit „Wissenschafts-Politik-Schnittstellen“ gemacht?
Ich arbeite in verschiedenen Politikschnittstellen und als wissenschaftlicher Berater mit politischen Akteuren in Deutschland und anderen Ländern zusammen. Meine persönliche Erfahrung liegt besonders in der wissenschaftlichen Beratung von Prozessen zur partizipativen Entwicklung und Umsetzung von nationalen Biodiversitätsstrategien. Ich habe hier besonders die Prozesse in Deutschland und Peru, aber auch in anderen Ländern wie Uganda und Honduras begleitet und beraten. In unserer Arbeit mit dem Netzwerkforum für Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo) versuchen wir hier, existierendes Wissen für aktuelle politische Prozesse aufzubereiten. Derzeit arbeiten wir relevante Themen zu den Verhandlungen des Global Biodiversity Frameworks (GBF) auf und verbreiten sie  für interessierte Akteure in Politik und Wissenschaft.

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie bei einer Mitarbeit an solchen Schnittstellen?
Meine Erfahrung war oft positiv, was die Offenheit und Bereitschaft von politischen Akteuren angeht, sich auf wissenschaftliche Beratung einzulassen. Es ist wichtig, hier zwischen gewählten Politikern und Funktionären in Ministerien und Behörden zu unterscheiden. Letztere sind meiner Erfahrung nach sehr an technischen Lösungen interessiert. Meine Erfahrung war, dass es in allen Ländern praktische Lösungen und Ansätze gibt, diese aber oft durch die regulatorischen Rahmenbedingungen und politische Prioritäten nicht ausreichend Rückhalt erfahren. Um dies zu ändern, müssen die gewählten Politiker für die Themen interessiert werden. Ihre Aufmerksamkeit hängt dabei stark von der öffentlichen Problemwahrnehmung ab. Um auf dieser Flughöhe Veränderungen zu erwirken, bedarf es einer hohen medialen Aufmerksamkeit und einer Legitimierung von wissenschaftlichen Darstellungen durch eine breite eingebundene Expertise und einen formalen Austausch mit der Politik. IPBES hat das Potenzial, diese Flughöhe zu erreichen.

Was wäre Ihr persönlicher Wunsch für die Zukunft von IPBES? / What would be your personal wish for the future of IPBES?
Mein Wunsch wäre, dass es in Zukunft noch stärkere Unterstützung gibt, weitere Experten einzubinden, wie Nachwuchswissenschaftler und Kollegen aus dem Globalen Süden. Auch Sozialwissenschaftler können noch stärker einbezogen werden. Zudem würde ich mich freuen, wenn die Assessments noch stärker Science-Policy-Prozesse in den Ländern anstoßen, die die Anwendung des gesammelten Wissens verfolgen.