Dr. Alice Vadrot

"Je pense, donc je suis"

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Dr. Alice Vadrot

Angaben zur Person:

Dr. Alice B.M. Vadrot, Politikwissenschaftlerin
Erwin Schrödinger Fellow (FWF), Visiting Research Fellow (CSAP), Senior Post Doc (IfPw)

Institutionelle Anbindung:
Centre for Science and Policy, University of Cambridge;
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien;

Weitere Hintergrundinformationen zu Person und Institution:
http://www.csap.cam.ac.uk/network/alice-vadrot/
https://www.researchgate.net/profile/Alice_Vadrot
https://ufind.univie.ac.at/de/person.html?id=31999

Teilnahme bei IPBES-relevanten Aktivitäten oder Prozessen

  • IPBES Third Stakeholder Meeting, Busan, 2010
  • Workshop “Nested Networks: Between wishful thinking, empirical evidence and practical relevance”, UFZ, Leipzig, Mai 2010
  • IPBES First Plenary Session, 2011, Nairobi
  • Workshop “Sozialwissenschaften im Weltbiodiversitätsrat IPBES“, Bonn, November 2015
  • 4. Nationales IPBES-Forum, Bonn, Januar 2016
  • IPBES Fourth Plenary Session, Kuala Lumpur, Februar 2016,
  • Workshop “The works of and on IPBES: What research for what intervention?”, University of Cambridge, Centre for Science and Policy & IDDRI, Cambridge/UK, Juni 2016.

Fragen:

Was ist Ihre Motivation, sich aktiv am IPBES-Prozess zu beteiligen?
In erster Linie ist IPBES eines meiner Forschungsobjekte, das ich auch deswegen ausgewählt habe, weil es neuartige Möglichkeiten Wissenschaft und Politik zu verknüpfen mit etablierten Mechanismen multilateraler Umweltpolitik verbindet. Die Tatsache, dass IPBES im Entstehen inbegriffen ist und im Gegensatz zu IPCC nicht durch historisch gewachsene lineare Vorstellungen der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik vordefiniert ist, bietet Raum für Teilhabe und Teilnahme. Dass dieser Raum rapide durch Prozesse und ritualisierte Formen der zwischenmenschlichen Interaktion, im Bourdieuschen Sinne, durchstrukturiert wird, bietet Chancen und kreiert Barrieren. Die Chancen für Teilhabe und Teilnahme sichtbar zu machen, sowie auf mögliche institutionelle und epistemologische Barrieren hinzuweisen, motiviert mich mich an IPBEs zu beteiligen.

Was ist für Sie das Besondere am Weltbiodiversitätsrat IPBES?
Die wissenschaftliche Beschäftigung des Menschen mit seiner ökologischen Umwelt ist so vielfältig, wie die Möglichkeiten diese zu nutzen und nachhaltig zu gestalten. Dass trotz dieser Vielfalt und angesichts einer Fülle an Konflikten rund um die Frage nach dem, was eine neue auf zwischenstaatlicher Ebene operierende Plattform leisten kann und soll, eine neue Institution entstanden ist, die nach kurzer Zeit bereits eine Fülle an Arbeitsprodukten vorweisen kann, ist bewundernswert. Die Energie und Überzeugung, mit der viele Expertinnen und Experten sich im Prozess engagieren, neben ihrer hauptberuflichen Arbeit in zahlreichen oft unbezahlten Arbeitsstunden, in virtuellen Meetings, Skype-Konferenzen und Arbeitstreffen am anderen Ende der Welt, beeindruckt mich. Auch die Art und Weise, wie noch nie zuvor erprobte Prozesse angenommen und die Balance zwischen wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und den Prinzipien der Inklusion und Vielfalt im Zeichen von sich im Aufbau befindlicher Strukturen und engagierter Individuen aufrechterhalten werden, machen IPBES zu einem besonderem Phänomen. Dass die anfängliche Energie den oftmals aus wissenschaftlicher und idealistischer Sicht nur schwer zu akzeptierenden politischen Realitäten und Pfadabhängigkeiten nicht gewichen ist, zeigt, dass die Einsicht in die Dringlichkeit einen Konsens im Bereich des Naturschutzes zu finden, besondere Kräfte und Überzeugungen freilegen kann. Auch das ist „das Besondere“, dass die unterschiedlichen Zugänge zu Natur- als Forschungsobjekt und als Lebensraum- sowie zu deren Schutz, durch die Etablierung von IPBES, für eine größere Öffentlichkeit freigelegt wurden.

Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit "Wissenschafts-Politik-Schnittstellen" gemacht? Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie bei einer Mitarbeit an solchen Schnittstellen?
Aus dem Blickwinkel einer Politikwissenschaftlerin, die sich seit mehreren Jahren mit dem Phänomen der „Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik“ beschäftigt, ist zunächst zu sagen, dass das Konzept bzw. die Analogie der „Schnittstelle“ im Grunde genommen irreführend ist. Wissenschaft und Politik sind keine hermetisch abgeschlossenen Teilsysteme der Gesellschaft, weshalb die Antwort auf die Frage wie wissenschaftliche Erkenntnisse am besten in die Erarbeitung evidenzbasierter Politik einfließen können in vielen Fällen eine relative ist. Wirklich bewusst geworden ist mir dies, als ich nach meiner Doktorarbeit als Head of Research in einer politischen Think Tanks gearbeitet habe. Die Vorstellung, dass ich mit aufbereiteter wissenschaftlich untermauerter „gerechtfertigter wahrer Meinung“- so wird in Anschluss an Platon Wissen oft definiert- automatisch das Gehör der „Politik“ bekomme, ist naiv. Es geht vielmehr darum, die „politische Logik“ zu verstehen, ein Gespür für die relevanten Probleme zu entwickeln und wissenschaftliches Wissen so aufzubereiten, dass es unmittelbar genutzt werde kann. Ob für eine parlamentarische Anfrage, die Implementierung neuer Maßnahmen auf lokaler Ebene, die Reform eines Politikbereichs, als Verhandlungsgrundlage in internationalen Vertragsstaatenkonferenzen oder in Form einer Gutachtertätigkeit: die zugrundeliegenden Prozesse sind dynamisch, vielfältig und herausfordernd. Sie erfordern ein Einlassen auf den jeweiligen Kontext und zeitliche Ressourcen in oft ungeahntem Ausmaß. Gemerkt habe ich das, als ich als Teil eines Teams ein Gutachten zur „Inwertsetzung der Biodiversität“ für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag angefertigt habe. Die permanente Hinterfragung des Geschriebenen nicht nur hinsichtlich wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit sondern auch in Bezug auf Verständlichkeit, implizierter und explizierter Normativität und Nutzbarkeit, waren ständiger Begleiter einer Arbeit, von der schwer zu sagen ist, ob sie überhaupt einen Unterschied gemacht hat. Politik ist oft langatmig; ein scheinbarer Gegensatz zur Rasanz des politischen Alltags. An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu arbeiten, bedeutet daher auch, eine hohe Frustrationstoleranz zu haben, sowie Geduld und die Fähigkeit sich auf ein Denken einzulassen, das nicht allein den Gesetzen der Wissenschaft gehorcht.

Was ist Ihr persönlicher Wunsch für die Zukunft von IPBES?
Ich wünsche mir, dass IPBES einen Unterschied macht und den Spannungsbogen zwischen politischem Interessensausgleich und wissenschaftlicher Evidenz durch einen Fokus auf die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen sowie Ressourcenschonung und gesellschaftliche Transformation meistert. Oftmals sind es einzelne Formulierungen und Worte, die den Unterschied machen. Ich wünsche mir mehr Mut, auf der Seite der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch auf Seiten politischer Entscheidungsträger IPBES als Sprachrohr für eine wirklich nachhaltige Politik zu nutzen und neuen Konzepten über die Ausgestaltung sozial-ökologischer Verhältnisse mehr Gehör zu verschaffen. Dass auch Wissenschaft widersprüchlich und lückenhaft ist, sollte ausgehalten werden und nicht als Gegenargument für das Experiment IPBES ins Feld geführt werden. Enttäuscht wäre ich, wenn sich IPBES in die Fülle bereits existierender internationaler Institutionen einreiht, die zwar einer transnationalen Elite einen interessanten Arbeitsalltag ermöglicht, nicht jedoch die öffentliche und politische Wirklichkeit mit anschlussfähigem Wissen und starken Argumenten für die Priorisierung gesamtgesellschaftlicher nachhaltiger Entwicklung erreicht.